BNN 09.11.2022

 Von Mozart, Holst und Thuille
10 Jahre Notos-Bläserquintett
 


Wer eigentlich ist Ludwig Thuille? Der 1861 im damals zum Kaisertum Österreich gehörenden südtirolerischen Bozen geborene Komponist, Pianist, Musikpädagoge und Musiktheoretiker mit französischen Vorfahren ist heutzutage immer noch nur wenigen „Insidern“ geläufig, obgleich schon sein 1888, in jungen Jahren entstandenes Opus 6, das Sextett für Bläserquintett und Klavier, geeignet ist, ihn unsterblich zu machen. Dieses Werk nun beschrieb jüngst den Höhepunkt eines Kammerkonzerts mit dem Notos-Bläserquintett (Andreas Knepper, Flöte; Izumi Gehrecke, Oboe; Sven Aberle, Klarinette; Thomas Crome, Horn; Jaewoo Park, Fagott) und der Pianistin Megumi Sano in der Kleinen Kirche Karlsruhe. Das Konzertprogramm, das vor zwei Wochen bereits in der Auferstehungskirche Rüppurr zu erleben war, wurde abgerundet mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart und Gustav Holst. 

Thuille war Kompositionsschüler von Joseph Gabriel Rheinberger, dem er als Professor für Komposition an der Königlich Bayerischen Musikschule in München (der heutigen Hoschschule für Musik und Theater München) nachfolgte. Wie bei den meisten Komponisten dieser Ära durchzieht der Klang zweier „Titanen“ Thuilles Tonsprache: Johannes Brahms und Richard Wagner. Doch sein spätromantisches Klangideal ist differenziert und in keinem Moment epigonal. Durchklingen Einflüsse der sog. Neudeutschen Schule um Wagner sein Sextett, neben denen Brahms‘, so folgt er in formaler Hinsicht eher der klassischen Tradition, die er ideenreich erweitert, etwa mit einer Gavotte an der Stelle eines Scherzos, allerdings eher mit einem „gavottisierten“ Scherzo. 

Doch von Anfang an. Thuilles kammermusikalisches Monument scheint mit der falschen Gattungsbezeichnung versehen zu sein: Angesichts des dichten, ausnehmend virtuosen Klaviersatzes verhilft es zu dem Eindruck eines sinfonischen Klavierkonzerts mit reduziertem Orchester – in der Tat hatte Thuille 1882 sein Examen mit dem Vortrag seines Klavierkonzerts D-Dur abgeschlossen. Und Megumi Sano erwies sich dieser vollgriffigen, mit den Bläsern dicht verwobenen pianistischen Herausforderung meisterhaft gewachsen, auch im Hinblick auf den ein wenig halligen Kirchenraum. Für die Bläser ist dieses Werk ein wahres Fest, wenn etwa gleich zu Beginn des Kopfsatzes eine „Vorstellungsrunde“ einsetzt, die das Horn – wie ein Rückblick auf den Beginn des Kopfsatzes des B-Dur-Klavierkonzert von Brahms – genauso delikat anführte wie den langsamen Satz (Larghetto) mit seiner berückenden Horn-Kantilene. Und den „Scherzo-Freunden“ servierten die Musiker mit der aufgekratzten, tänzerisch durchwirkten Gavotte, von der Oboe keck angeführt, genauso eine Delikatesse wie den Liebhabern fulminanter Abgänge mit dem rasant durchmessenen Finale mit seiner bald impressionistischen Stretta. 

Die differenzierte, stilsichere Klangkultur des Quintetts kam zu Beginn des Konzerts mit einem wahren Gegensatzpaar zur Geltung: Mit Mozarts später f-Moll-Fantasie KV 608 und Holsts Bläserquintett As-Dur op. 14. 

Mozarts Kammermusik für Bläser ist reichhaltig, doch im Unterschied zu seinen Zeitgenossen Antonio Rosetti (Anton Rösler) und Giuseppe Cambini hat er ein originales Bläserquintett nicht komponiert. Im Frühjahr 1791 schrieb er jedoch für das Wiener Wachsfiguren- und Kuriositätenkabinett des Grafen Deym mehrere Stücke für eine „Flötenuhr“, die er auch „Orgelwerk in einer Uhr“ oder als „Orgelwalze“ bezeichnete, eine mechanische Orgel also, die das automatische Abspielen des Orgelwerks in bestimmten regelmäßigen Abständen ermöglichte. Seine Fantasie f-Moll KV 608 („Ein Orgelstück für eine Uhr“) diente dabei als Trauermusik für einen der berühmtesten Feldherren des theresianischen Österreichs, den Feldmarschall Gideon Ernst von Laudon, der 1759 in der Schlacht bei Kunersdorf gegen den „Alten Fritz“ siegreich geblieben und 1790 gerade verstorben war. Und diese Fantasie bot sich für Bearbeitungen an, u. a. erschien 1958 eine solche für Bläserquintett von dem Organisten Wolfgang Sebastian Meyer (1936-1966). Mit dieser von Meyer kongenial arrangierten Fantasie eröffnete das Notos-Quintett sein Konzert und bestach mit der klaren Wiedergabe der dichten Kontrapunktik und der zuweilen fast düsteren Dramatik dieses Werks. Und die „Papageno-Anklänge“, die im Andante hörbar wurden, etwa in manchen Einwürfen der Flöte, erinnerten völlig zulässig an heiterere Anlässe: Die Fantasie entstand gleichzeitig mit der Arbeit an der „Zauberflöte“. 

Auch mit Holsts Bläserquintett As-Dur vermochte das Notos-Quintett vollständig zu überzeugen. Der 1874 in Cheltenham im englischen Südwesten geborene Komponist deutsch-baltischer und lettisch-schwedischer Abstammung war, als Posaunist und brillanter Meister der Orchestrierung ein Bläser-Spezialist, zudem ein Liebhaber Alter Musik. So zeigt sein 1903 entstandenes Bläserquintett einen liebevollen Hang zur „Barockisierung“. Das einleitende Allegro moderato eröffnete die Klarinette mit einem lyrisch-eingängigen Thema, in das nacheinander alle Spieler einstimmten. Daraus entwickelte sich eine klangschöne Pastorale, die im zweiten Satz (Adagio) wie in eine Pavane überleitete, eröffnet wiederum von dem Horn. Sowohl das Kanon-Menuett wie der abschließende, von einem Air thematisierte Variationssatz – von der Flöte herrlich eingeleitet – gab dem Ensemble reiche Gelegenheit, seine ansprechende Klangkultur unter Beweis zu stellen. 

Das Notos Bläserquintett, dem seinem Namen nach der Südwind der griechischen Mythologie den Atem zu verleihen scheint, wurde 2012, vor einem Jahrzehnt also, gegründet und hat sich als wertvolle Kammermusikvereinigung etabliert, die von der intensiven Freundschaft zwischen den einzelnen Musikern aus der Region um Karlsruhe lebt. Das Ensemble besticht durch feinfühliges Zusammenspiel, brillante Virtuosität, Klangfarbenvielfalt und Musizierfreude. Das Repertoire des Notos-Quintetts konzentriert sich auf Werke des 19. und 20. Jahrhunderts. Zudem arbeitet das Ensemble mit zeitgenössischen Komponisten zusammen, um das Bläserquintett als Ensembleform und Gattungserscheinung auch im 21. Jahrhundert weiter zu entwickeln. 

„Unser Ziel ist es, die klassische Musik einem möglichst breiten Zuhörerkreis zugänglich machen zu können und mit Harmonie und Virtuosität darzubieten“ – so liest es sich auf der Homepage des Quintetts. Und dieses Ziel hat das Ensemble – nicht nur in seinem jüngsten Konzert – in eindrucksvoller Zusammengefasstheit erreicht. Reicher Applaus!  Claus-Dieter Hanauer 

BNN 21.2.2022

PAMINA Klassik Online im Südwesten 

Brasilianische Rhythmen, wetteifernde Bläser 

Montag, 31. Oktober 2022 / Von Christine Gehringer

Das Waldstadt Kammerorchester bot unter der Leitung von Norbert Krupp ein hörenswertes Programm in der Lutherkirche

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Zum Schluss gehört die Bühne dem Notos-Bläserquintett. Dass Peter Joseph Lindpaintner hier mit seiner „Sinfonia Concertante“ die herausragenden Solisten seiner Stuttgarter Hofkapelle in Szene setzte, demonstriert das Ensemble mit Andreas Knepper, Flöte, Izumi Gehrecke, Oboe, Sven Aberle, Klarinette, Thomas Crome, Horn und wiederum Jaewoo Park, Fagott: Da zeigen sich die Holzbläser, warm grundiert vom Horn, als äußert gesprächig, stacheln sich gegenseitig an – bis schließlich einer nach dem anderen in einer Art solistischem Wetteifer das Thema mit immer neuen Figurationen virtuos inszeniert.
Das war beste Abendunterhaltung.
 


Ein musikalisches Märchen 

Notos-Quintett bringt Prokofjews „Peter und der Wolf" in die Friedenskirche 
Schöne Überraschungen machen das Leben heiter, doch zunächst herrscht etwas Zweifel: Kann ein so eminent mit den Orchesterfarben spielendes Werk wie Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf", op. 67, denn in einer Kammerbesetzung funktionieren? Das Werk hat ja eine pädagogische Absicht, nämlich Kinder mit den Instrumenten eines Symphonieorchesters vertraut zu machen, mit deren Klang und deren Wirkung, und ganz nebenbei kann man noch lernen, was Programmmusik ist. Das Beste aber: Es klingt prima. 
Bis heute ist das 1936 entstandene Musikmärchen für Orchester und Sprecher eines der meistaufgeführten Werke überhaupt und die Melodie in den Ohren von Kindergenerationen fest verankert. Kurzer Spoiler: Ja, es funktioniert. Doch erst zu etwas anderem. Denn das Konzert des trefflichen Notos-Quintetts in der Friedenskirche in Weiherfeld begann nicht mit dem Russen Prokofjew, sondern dem Franzosen Milhaud, Darius mit Vornamen. Beide entstammen derselben Generation, sind 1891 (Prokofjew), respektive 1892 (Milhaud) geboren. Milhaud schrieb 1939 Musik zu Raymond Bernards Episodenfilm „Cavalcade d'amour", die er in ein siebensätziges Holzbläserquintett umwandelte: „La chemined du roi Rene (Der Kamin des Königs Rend). Der Titel bezieht sich auf die Vorliebe des Rend d'Anjou, im 15. Jahrhundert Graf von Anjou und König von Sizilien, für das warme Klima am Mittelmeer. Eigentlich nicht als Musik für Kinder konzipiert, beschreibt es in seinen Sätzen Jongleure, Tjost, Jagd oder die Abenddämmerung so plastisch, dass das junge Publikum ganz bei der Sache war. 
In einer impressionistisch gefärbten Musik umgarnten sich, umspielten sich, hetzten sich und liebkosten sich die Flöte Andreas Keppers, Oboe und Klarinette von Izumi Gehrecke und Klarinette von Izumi Gehrecke und Sven Aberle, das Horn Thomas Cromes und Jaewoo Parks Fagott. Elegant war das gespielt, elegant ist die Musik geschrieben und klug von Thomas Crome vor jedem Satz in einfachen aber treffenden Worten erklärt. Dieser „Kamin", er ist wirklich eine Sommermusik. Dann der „Peter": Wie bereits verraten, verliert die Kammerbesetzung im Arrangement von Robert Ostermeyer nicht an Überzeugungskraft. Was natürlich auch daran liegt, dass hier die spezifischen Instrumentengruppen weitgehend erhalten bleiben, somit Vogel (Flöte), Ente (Oboe), Katze (Klarinette), Großvater (Fagott) und Wolf (Horn) ihr Wesen treiben können. Und Peter? Der erschien, in der Ermangelung der Streicher, in Gestalt des Tutti, also aller zusammen. Fehlt noch was? Ach ja, die Pauken natürlich, welchen die Schüsse auf den Wolf illustrieren. Die markierte („piff, paff") Malika Reyad, die sich als Sprecherin zum Quintett gesellte und mit vollem szenischen Einsatz die Geschichte zum Leben erweckte. Und weil sie die Textfassung Loriots vortrug, gingen die Schüsse eh daneben: Hier wird der Wolf nicht im Triumphzug als Gefangener transportiert, hier darf er zurück in den Wald, soll sich aber gefälligst vom Hause Peters fernhalten. Auch für's Auge gab es was, denn die Musiker, damit man nicht vergesse, wer was ist, trugen Hüte, auf denen die jeweils dargestellte Figur thronte. Ein Spaß, der seine Wirkung nicht verfehlte. 
Jens Wehn  BNN 29.3.2022 

 Markantes Spiel 

Megumi Sano und das Notos-Bläserquintett würdigten Beethoven und Anton Reicha 


Alle reden von Beethoven – dabei hat das Musikleben im Jahr 2020 auch noch einen anderen 250. Geburtstag zu begehen, nämlich den das tschechischen Komponisten Anton Reicha: aus Prag stammend und neben seiner Tätigkeit als Komponist auch als Flötist berühmt, feierte er künstlerische Erfolge in Paris und legte in seinem Schaffen einen besonderen Fokus auf Werke für (Holz-)Blasinstrumente – ganz in der Tradition der böhmischen Bläsertradition. Nicht zuletzt war er auch mit Beethoven persönlich bekannt und befreundet – Gründe genug für die Karlsruher Pianistin Megumi Sano und das Notos-Bläserquintett (nicht mit dem gleichnamigen Streichquartett zu verwechseln!), die beiden Jubilare in einem gut besuchten Konzert im früheren Stephanienbad, der heutigen Paul-Gerhardt-Kirche in Beiertheim zu würdigen. Reichas Bläserquintett Es-Dur aus dessen Opus 88 gefiel durch zahlreiche originelle Einfälle und formelle Klarheit im besten Sinne der Wiener Klassik und beinhaltete in allen Stimmen virtuose Passagen, der Andreas Knepper (Flöte), Izumi Gerecke (Oboe), Sven Aberle (Klarinette), Thomas Crome (Horn) und Jae-Woo Park (Fagott) eindrücklich gerecht wurden. 

Recht bekannt bis heute ist Beethovens frühes Quintett für Klavier und Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Es-Dur op. 16: die Bläser sowie Megumi Sano erweckten Beethovens Werk mit recht markantem und prägnantem Spiel zum Leben; obschon stilistisch noch weit vom typischen, eigenwilligen Spätwerk des Komponisten entfernt, arbeiteten sie die dem Werk einbeschriebene Kraft gelungen heraus; im inmitten stehenden Andante gefiel besonders Thomas Crome mit aparten Passagen am Horn. Diese zeigte er auch nach der Pause in der selten zu hörenden F-Dur-Sonate op. 17 für Klavier und Horn desselben Komponisten, der Megumi Sano am Klavier zu orchestraler Wirkung verhalf. Gemäß der Konzertüberschrift „Von Wien nach Paris“ siedelte man danach weg von den Komponistenjubilaren in die französische Hauptstadt des 20. Jahrhunderts über: mit Witz und augenzwinkernd daherkommenden Spitzentönen wurde das Holzbläserquartett von Jean Françaix dargeboten, der mit einer zwischen Impressionismus, Expressionismus und Neoklassizismus changierenden Stilistik eine Tonsprache mit hohem Wiedererkennungswert hat. Alle Musiker des Abends vereinigten sich abschließend zu Francis Poulencs Sextett, dem sie eine extravagante, starke Klangkulisse bescherten; mit einer Themenfolge über Beethovens 5. Sinfonie im Latin-Stil als unterhaltsamer Zugabe schloss sich der Kreis zum ersten Konzertteil. –hd. BNN 10.2.2022